BGH: Wirksamkeit von Rechtsschutzversicherungsbedingungen zum Schiedsgutachterverfahren
Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die von einem Versicherer in seinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen verwendeten Klauseln über das Schiedsgutachterverfahren nach Ablehnung des Rechtsschutzes wirksam sind.
Sachverhalt und Prozessverlauf:
Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, der als qualifizierte Einrichtung nach § 4 UKlaG eingetragen ist. Der beklagte Versicherer verwendet Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2019), die Klauseln zum Schiedsgutachterverfahren nach Ablehnung des Rechtsschutzes wegen mangelnder Erfolgsaussichten oder wegen Mutwilligkeit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen enthalten. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 3a Ablehnung des Rechtsschutzes wegen mangelnder Erfolgsaussichten oder wegen Mutwilligkeit – Schiedsgutachterverfahren
…
(2) Mit der Mitteilung über die Rechtsschutzablehnung ist der Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass er, soweit er der Auffassung des Versicherers nicht zustimmt und seinen Anspruch auf Rechtsschutz aufrechterhält, innerhalb eines Monates die Einleitung eines Schiedsgutachterverfahrens vom Versicherer verlangen kann. Mit diesem Hinweis ist der Versicherungsnehmer aufzufordern, alle nach seiner Auffassung für die Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens wesentlichen Mitteilungen und Unterlagen innerhalb der Monatsfrist dem Versicherer zuzusenden.
…
(4) Schiedsgutachter ist ein seit mindestens fünf Jahren zur Rechtsanwaltschaft zugelassener Rechtsanwalt, der von dem Präsidenten der für den Wohnsitz des Versicherungsnehmers zuständigen Rechtsanwaltskammer benannt wird. Dem Schiedsgutachter sind vom Versicherer alle ihm vorliegenden Mitteilungen und Unterlagen, die für die Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens wesentlich sind, zur Verfügung zu stellen. …“
Der Kläger hält diese Klauseln für unwirksam. Er begehrt mit seiner Klage, dem Beklagten bei Meidung von Ordnungsmitteln aufzugeben, es zu unterlassen, diese in Verträgen mit Verbrauchern zu verwenden und sich auf sie zu berufen.
Das Landgericht Hannover der Klage mit Urteil vom 8. November 2021 – 18 O 123/21 – Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten verurteilt, die Verwendung der Klauseln in § 3a Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 und 2 ARB 2019 zu unterlassen. Das Oberlandesgericht Celle als Berufungsgericht hat mit Urteil vom 22. September 2022 – 8 U 336/21 – das landgerichtliche Urteil abgeändert und den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Unterlassung der Verwendung der Klausel in § 3a Abs. 2 Satz 1 ARB 2019 verurteilt. Dagegen richten sich die vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen beider Parteien, die – soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist – ihre jeweiligen Begehren weiterverfolgen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Klägers mit seinem Urteil vom 12. Juni 2024 – IV ZR 341/22 – zurückgewiesen. Auf das Rechtsmittel der Beklagten hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist, und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Alle vom Kläger angegriffenen Teilklauseln halten einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB stand und weichen nicht im Sinne des § 129 VVG von § 128 Satz 1 VVG ab.
Die Klausel in § 3a Abs. 2 Satz 1 ARB 2019 bestimmt, wie ihre Auslegung ergibt, eine Ausschlussfrist und verstößt insoweit nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie ist insbesondere nicht deshalb intransparent, weil sie dem Versicherungsnehmer nicht verdeutlicht, welche Folgen es für seinen Anspruch auf Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens hat, wenn der Versicherer in der Mitteilung eine Fristsetzung unterlässt. Eine solche ausdrückliche Regelung von Rechtsfolgen, die sich für den Fall ergeben, dass der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen einer sich in den Bedingungen selbst auferlegten Verpflichtung zuwiderhandelt, fordert das Transparenzgebot nicht. Es bedurfte auch nicht einer ausdrücklichen Regelung dazu, dass die Versäumung der Frist das Recht des Versicherungsnehmers unberührt lässt, den Anspruch auf Rechtsschutz im Wege der Deckungsklage geltend zu machen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnimmt bereits dem Wortlaut der Klausel, wonach er die Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens verlangen „kann“, dass diese für ihn ein Recht, nicht aber eine Pflicht begründet. Die Klausel weicht auch nicht von der halbzwingenden Bestimmung des § 128 Satz 1 VVG ab, die keine konkreten Vorgaben für das durchzuführende Verfahren enthält und dem Versicherer insoweit einen Ausgestaltungsspielraum belässt. Deshalb benachteiligt sie den Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Auch die Klausel in § 3a Abs. 2 Satz 2 ARB 2019 hält einer Inhaltskontrolle stand. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass ihr eine Ausschlusswirkung nicht zu entnehmen ist. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erschließt sich vielmehr aus dem für ihn erkennbaren Sinn und Zweck der Verpflichtung, alle nach seiner Auffassung für die Durchführung des Schiedsgutachterverfahrens wesentlichen Mitteilungen und Unterlagen innerhalb der Monatsfrist dem Versicherer zuzusenden, dass es darum geht, dem Schiedsgutachter eine Tatsachengrundlage zur Verfügung zu stellen, die ihm eine möglichst zeitnahe Entscheidung ermöglicht. Er wird daraus aber weder folgern, dass nach Fristablauf dem Versicherer übersandte Mitteilungen und Unterlagen nicht auch dem Schiedsgutachter zur Verfügung zu stellen sind, noch wird er daraus schließen, dass er dem Schiedsgutachter seinerseits für die Durchführung des Verfahrens wesentliche Mitteilungen und Unterlagen nicht mehr übermitteln kann.
Die Klausel in § 3a Abs. 4 Satz 1 ARB 2019 ist ebenfalls wirksam. Sie ist insbesondere nicht intransparent, weil sie dem Versicherungsnehmer nicht ausdrücklich die Möglichkeit vorbehält, den Schiedsgutachter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erwartet im Rahmen dieser Klausel, die das Bestellungsverfahren regelt und dabei generell-abstrakte Kriterien für die Auswahl des Schiedsgutachters festlegt, keine Regelung dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen ihm im Einzelfall das Recht vorbehalten bleibt, Einwände gegen die Auswahl des Gutachters vorzubringen. Er entnimmt bereits dem Umstand, dass der Schiedsgutachter durch den Präsidenten der für seinen Wohnsitz zuständigen Rechtsanwaltskammer – und damit durch einen neutralen Dritten – aus dem Kreis der seit mindestens fünf Jahren zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen Rechtsanwälte zu bestimmen ist, dass der Schiedsgutachter die Gewähr für eine unparteiliche Entscheidung bieten muss.
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht schließlich die Wirksamkeit der Klausel in § 3a Abs. 4 Satz 2 ARB 2019 bejaht. Sie ist insbesondere nicht deshalb unwirksam, weil sie dem Versicherer das Recht eröffnet, dem Schiedsgutachter die Übermittlung solcher Mitteilungen und Unterlagen vorzuenthalten, die er zwar vom Versicherungsnehmer erhalten hat, aber selbst nicht für wesentlich hält. Bereits dem Wortlaut der Klausel entnimmt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass der Versicherer dem Schiedsgutachter alle ihm vorliegenden Mitteilungen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen hat, die für die Durchführung des Verfahrens – objektiv – wesentlich sind. Die Klausel gibt dem Versicherungsnehmer demzufolge keine Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherer berechtigt ist, im Wege einer „Vorauswahl“ nur das an den Gutachter weiterzuleiten, was er selbst – subjektiv – für wesentlich hält.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 131/2024 vom 12. Juni 2024