BGH: EuGH-Vorlage zur Frage der Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen durch eine Verwertungsgesellschaft
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat Beschluss vom 21. November 2024 – I ZR 135/23 – Herausgeberanteil – dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, mit denen geklärt werden soll, ob und unter welchen Voraussetzungen die Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen aus den Einnahmen einer Verwertungsgesellschaft mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Sachverhalt:
Die Beklagte ist die Verwertungsgesellschaft Wort. Sie ist ein rechtsfähiger Verein kraft staatlicher Verleihung, in dem sich Wortautoren und deren Verleger zur gemeinsamen Verwertung von Urheberrechten zusammengeschlossen haben. Sie nimmt als einzige Verwertungsgesellschaft in Deutschland die ihr vertraglich anvertrauten urheberrechtlichen Befugnisse von Wortautoren und deren Verlegern wahr.
Der Kläger ist Autor wissenschaftlicher Werke. Er hat sich zudem die Rechte eines Autors von Sachbüchern (im Folgenden: Zedent) abtreten lassen. Der Kläger hat mit der Beklagten im Jahr 1984 einen Wahrnehmungsvertrag geschlossen, der Zedent im Jahr 1993. Darin haben sie der Beklagten die gesetzlichen Vergütungsansprüche aus der Bibliothekstantieme und der Geräte- und Speichermedienvergütung zur Wahrnehmung übertragen.
Der Kläger wendet sich aus eigenem und abgetretenem Recht dagegen, dass die Beklagte Herausgeber und den Förderungsfonds Wissenschaft, dessen einzige Gesellschafterin die Beklagte ist, entsprechend den Bestimmungen ihres Verteilungsplans und ihrer Satzung an den Einnahmen aus den gesetzlichen Vergütungsansprüchen der Urheber beteiligt und dadurch den Anteil des Klägers und des Zedenten an diesen Einnahmen schmälert. Der Förderungsfonds Wissenschaft vergibt Druckkostenzuschüssen für das Erscheinen wissenschaftlicher Werke und Fachwerke, Zuschüsse für Forschungen, aus denen wissenschaftliche Werke oder Fachwerke hervorgehen sollen, sowie Zuschüsse für sonstige Maßnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Schrifttums und des Fachschrifttums. Die Zuschüsse können von Urhebern und Verlagen beantragt werden, die mit der Beklagten einen Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen haben.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht München I hat mit Teilurteil vom 4. Oktober 2021 – 42 O 13841/19 – der Klage hinsichtlich der Feststellungsanträge in vollem Umfang stattgegeben und die begehrte Auskunft teilweise zugesprochen.
Im Berufungsverfahren hat das Oberlandesgericht München mit Urteil vom 27. Juli 2023 – 29 U 7919/21 – die Klage nur hinsichtlich der an den Kläger abgetretenen Ansprüche als begründet angesehen und sie im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage erreichen. Mit seiner Anschlussrevision verfolgt der Kläger seine Klageansprüche weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zwei Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums und der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt vorgelegt.
Zunächst soll der Gerichtshof der Europäischen Union klären, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG sowie Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU einer nationalen Vorschrift entgegenstehen (hier: § 32 Abs. 1 VGG), nach der eine Verwertungsgesellschaft kulturell bedeutende Werke und Leistungen fördern soll, und dies zur Folge hat, dass auch Empfänger in den Genuss der Förderung gelangen, die (jedenfalls noch) nicht zum Kreis der Rechtsinhaber zählen.
Für den Fall, dass die Erbringung sozialer, kultureller oder bildungsbezogener Leistungen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/26/EU nur an Rechtsinhaber zulässig sein sollte, ist außerdem klärungsbedürftig, ob der Rechtsinhaber einen gegenwärtigen Vergütungsanspruch innehaben muss oder ob die Inhaberschaft eines gegenwärtig nicht zu vergütenden Urheberrechts oder verwandten Schutzrechts ausreicht sowie ob ein Wahrnehmungsvertrag mit der Verwertungsgesellschaft bestehen muss.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 223/2024 vom 21. November 2024